Laudatio Galerie im Turm
Laudatio von Walter Wanninger, Künstler und Leiter der Galerie im Turm

Die Ausstellung zeigt Acrylmalerei auf Leinwänden von teils großen Formaten, auch oft mehrere gleiche Größen nebeneinander, monochrom oder mit farbigen Streifen bemalt, manchmal entdecken wir auch abstrakte Formen, flächenhaft bemalt. In der Kunstrezeption ist man schnell bereit, Bildern ein Etikett aufzukleben oder eine stilistische Schublade zu suchen – und die heißt hier „Konkrete Kunst“. Machen wir zusammen, hoffentlich zum besseren Verständnis, einen kleinen Ausflug in die Kunstgeschichte. 

Was auf den ersten Blick so modern wirkt, hat seine Wurzeln in der Avantgardekunst vor fast 100 Jahren. 1915 wird im Club Voltaire in Zürich der Dadaismus aus der Taufe gehoben. Eines der Mitglieder, Hans (Jean) Arp setzt abstrakte Farbflächen neben Farbflächen und verstört damit das Wilhelminische Bürgertum. Kurz darauf, 1917, wird von Theo van Doesburg die „De-Stijl-Bewegung“ gegründet. Piet Mondrian ist der wohl bekannteste Künstler der Gruppe. Der Begriff der „Konkreten Kunst“ wird definiert als die Ablösung des figurativen Gegenstands als Bildelement von den geometrisch abstrakten Formen. Es soll keine Beziehung mehr zur visuellen Wirklichkeit geben, weder als Abbildung noch als Symbol. Weitere Künstler sind: Max Bill, Josef Albers, Willi Baumeister, Rupprecht Geiger und Günther Fruhtrunk (Farbstreifen). Nach dem Krieg kommt aus Amerika ein neuer Malstil (1955-1965), das „Hardedgepainting“, vertreten durch Kenneth Nowland oder Frank Stella. Revolutionär wurde auch die „Farbfeldmalerei“ („Colorfieldpainting“) von Barnett Newman empfunden. Newman war es auch, der die Loslösung und Befreiung der amerikanischen Malerei von den Theorien der westeuropäischen Malerei forderte, d.h. er warf die alte herkömmliche Kunst ganz einfach über Bord. 

Von der internationalen Kunstgeschichte wieder zurück. Nun: Weder das Etikett „Konkrete Kunst“ stimmt, da Christina Wittmann (eigene) Naturfotografien und Architekturbilder als malerisches Vorbild für ihre Werke dienen. Eine Tatsache, die man z.B. am Bild „Starnberger See“ deutlich ablesen kann. Noch ist es das radikal abstrakte „Hardedge“, wenn es auch formale Bezüge gibt, es gibt kein deckungsgleiches Vorbild. 

Erlauben Sie mir einige Gedanken und persönliche Beobachtungen zur Malerei von Christina Wittmann, eine Malerei, die nicht für jeden leicht zugänglich ist. Die Komplikation mit dieser Kunst liegt in der Einfachheit. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Lassen Sie mich erklären: Wir sind gewohnt mit einer Fülle, ja Überfülle, von Sinneseindrücken konfrontiert zu werden und stehen plötzlich vor leeren Flächen. Es ist vergleichbar mit einem Menschen, der aus dem Lärm der Stadt in die Ruhe und Stille einer Kirche oder eines Klosters tritt. Zuerst ist er wohl irritiert, aber bald genießt er die Ruhe, denn es ist eine meditative Stille. Voraussetzung ist natürlich die Bereitschaft, sich dem Neuen und zuerst Ungewohnten zu öffnen, um mit der neuen Situation vertraut zu werden. Viele Menschen haben auch Angst vor der Leere (, die es eigentlich gar nicht gibt) und vor der Stille. Sie haben Angst aus der Hektik des Alltags auszusteigen, deshalb dröhnt bei manchen Mitmenschen auch rund um die Uhr das Autoradio, der MP3-Player, der Fernseher oder der Computer. Vielleicht haben sie auch Angst, in der Ruhe etwas zu entdecken – nämlich sich selbst. Ein Sprichwort sagt: Niemand kommt von einer Reise als derselbe zurück, als der er weggefahren ist. D.h. neue Eindrücke, Erfahrungen, Begegnungen mit Menschen und Kulturen, Reifeprozesse usw. verändern den Reisenden. Ähnlich ist es mit diesen Bildern der informellen Kunst. Für viele eine Reise ins Ungewisse, Neue, etwas, dass sich nicht sofort erschließt, sondern das Zeit braucht und meditatives Betrachten. Eine Vernissagesituation, die auf Kommunikation programmiert ist, ist dazu nicht der ideale Rahmen. Kommen Sie später wieder, nehmen Sie sich einen Stuhl, setzen Sie sich und lassen Sie Farbe und Formen auf sich wirken. Es ist eine visuelle Reise, nur viel weniger stressig als eine normale Reise. 

Bleiben wir noch kurz beim Bild der Entdeckungsreise. Es ist nicht der Trubel des Times Square oder der Place de la Concorde, der Reisende am tiefsten beeindruckt, sondern oft Meerlandschaften, Wüstenbilder oder Steppenlandschaften in einer noch nie gesehenen Farbigkeit. Fläche und Farbe erzeugen auch in der Malerei von Christina Wittmann Stimmungen beim Betrachter. Grafische Linien sorgen für Spannung. Der gezielte Einsatz der Farbe kommt nicht von ungefähr, hier malt eine Psychologin, die sich intensiv mit Farbpsychologie beschäftigt hat. Wem dieser Minimalismus der Bilder zu wenig ist und der glaubt, hier fehlt etwas, dem gebe ich zu bedenken: Jedes Bild besteht in seiner Substanz aus Fläche, Linie und Farben. Die Farbe erscheint hier sogar als Farbtotalität, d.h. alle Farben werden aus den drei Grundfarben Cyan, Magenta und Yellow (plus Weiß) gemischt. Alles ist da, nur anders, gesehen durch die Augen der Künstlerin.

Und wer noch ein Argument für die moderne Kunst nötig hat, dem empfehle ich Max Liebermann, der sagte: Kunst ist Weglassen!

 
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